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Griechenland und der Euro
Liebe Freundin, sehr geehrter Leser,
sie bedauern, dass ich zu aktuellen Themen keine Stellung beziehe. Da haben sie recht, der Wissenschaftler und der Philosoph beschäftigt sich nicht mit den kurzlebigen Erscheinungen der Gegenwart, sondern mit dem Bleibenden, den ewigen Gesetzen. Beispielsweise mit den Konstanten des menschlichen Verhaltens. Der Gesellschaftsphilosoph natürlich auch mit den Verhaltenskonstanten von Hypersystemen – wie den Staaten.
Das Hypersystem Griechenland
Da könnte ich Ihnen zu Griechenland etwas sagen.
Das ist ja nun nur ein scheinbar aktuelles Thema. Jeden Tag wird uns erzählt, dass sich morgen entscheidet, ob Griechenland von den europäischen Ländern weiter unterstützt wird, oder ob es zum Grexit kommt. Derartige Meldungen nerven den Wissenschaftler, Sie nicht auch? Sie können dieses Theater getrost vergessen und die Nachrichten abschalten. Es wird alles bleiben, wie es ist: Griechenland war schon in der Antike ein Herrenvolk und wird es bleiben. Ich benutze hier zwar eine Vokabel aus der jüngsten Geschichte, aber sie lässt sich auch gut für die Vergangenheit anwenden. Unser Vorbild für die Demokratie war eine Demokratie der Aristrokraten, die zum Arbeiten Knechte hatten, sogenannte Sklaven. Aristoteles, eines meiner philosophischen Vorbilder, stellte die Sklaven auf eine Stufe mit Pferden und Kühen, also mit Arbeitstieren, die von den Menschen immer noch ausgebeutet werden. Er nannte sie "lebendes Werkzeug". Es gibt nach Aristoteles totes und lebendes Werkzeug – den Hammer und den Diener. Wie Sie wissen, liebe Freundin, unterscheide ich hingegen tote (=nicht lebende) und lebende Systeme, wobei die lebenden Systeme, wie der Mensch und seine Hypersysteme und Suprasysteme, nicht nur aus lebenden Teilen, sondern auch aus toten Teilen bestehen, wie beispielsweise seinen Haaren, seiner Kleidung und seinem Auto, das Hypersystem Staat nicht nur aus Menschen, sondern auch aus Straßen, Abwässerkanälen usw..
Griechenland heute
Aber nun zum lebenden Hypersystem Griechenland. Es benutzte bereits in der Antike die Bewohner anderer Länder als lebendes Werkzeug und das ist so geblieben. Nur heute leben diese Sklaven nicht in Griechenland, sondern verteilt über ganz Europa. Wir sind diese Sklaven, Sie und ich und alle anderen Steuerzahler Europas. Die alltägliche Freude der Griechen besteht darin, vor ihrer Taverne zu sitzen, das Leben zu beobachten und dabei tagsüber einen Kaffee zu trinken und nach Eintritt der Dunkelheit ein Glas Wein. Ich muss mich etwas korrigieren: es handelt sich hierbei um den Lebensgenuss der griechischen Männer. Die Frauen sind natürlich am heimischen Herd und putzen die Wohnung. Eigentlich würden das die Männer in allen Erdteilen ebenso gern tun. In manchen Regionen, speziell in Westeuropa, lassen sich die Frauen das allerdings nicht mehr so einfach gefallen. Die Religionen der Männer, die zur Begründung dieses angenehmen Verhaltens herhalten sollen, kritisieren sie allerdings noch nicht. Irgendwann wird den Damen aber noch ein Licht aufgehen – hoffe ich.
Der Geldfluss nach Griechenland
In den aktuellen Verhandlungen der Griechen mit den Vertretern der Euroländer geht es also darum, ob die Bürger dieser Länder weiterhin Geld an Griechenland überweisen, damit die griechischen Männer das Leben in ihrer schönen sonnigen Heimat genießen können, oder ob sie selbst ihr angenehmes Tagwerk finanzieren müssen. Es wird natürlich so ausgehen, dass weiterhin Gelder in Richtung Griechenland fließen.
Allerdings ist der Hintergrund, der uns verheimlicht wird, etwas anders. Die Gelder fließen nicht vom Rest Europas nach Griechenland, sondern die Gelder fließen von allen Bürgern Europas an die Banken.
Die Geldschöpfung
Deutschland und die anderen Euroländer haben ja selbst enorme Schulden. Sie haben überhaupt kein flüssiges Geld, das sie als Kredit an Griechenland zahlen könnten. Um an das Geld zu kommen, müssen sie selbst weitere Kredite aufnehmen. Sie müssen sich also selbst weiter verschulden. Das ist auch kein Problem, weil die Banken sehr gern "Geld" verborgen und überhaupt kein Interesse daran haben, dass dieses "Geld" zurückgezahlt wird. Interesse haben sie nur daran, dass regelmäßig Zinszahlungen eingehen. Die Eigentümer der Banken verborgen ja nicht eigenes Geld, sondern das Geld ihrer Kunden. Das sind mal wieder wir. Wenn wir Geld durch Arbeit verdienen, wird dieses Geld ja schon seit langem nicht an uns ausgezahlt, sondern an die Banken, bei denen wir unsere Gehaltskonten haben. Bei denen haben wir eventuell auch noch unser Sparkonto. Dieses "Geld" (eigentlich sind das lediglich digital gespeicherte Zahlen, deshalb die Anführungsstrichelchen), verborgen die Banken sehr gern, deshalb verborgen sie dieses "Geld" auch mehrfach, da können sie mit dem gleichen "Geld" gleich mehrfach Zinsen bekommen. Dies nennt sich "Geldschöpfung". Geld wird immer geschöpft, wenn die Bank einen Kredit oder ein Darlehen vergibt. Ein schöner Begriff, nach dem Sie mal "googeln" sollten. Die Zinsen sind der Verdienst der Banken.
Die Kreditwürdigkeit
Und die Banken verdienen natürlich sehr gern daran, dass die kreditwürdigen Länder Europas sich dort Geld leihen und an Griechenland weitergeben. Sie sind kreditwürdig, weil ihre Bürger arbeiten und Steuern zahlen. Daran hapert es bei den griechischen Bürgern etwas. Wir, die netten und ehrlichen Steuern zahlenden Bürger, sind an Ende die modernen Sklaven, die für das Wohlleben anderer ackern. Diese "Anderen" sind allerdings nicht die Bürger Griechenlands, die in Zukunft auch mehr arbeiten werden, sondern diese "Anderen" sind diejenigen, die das "Geld", das die Banken "schöpfen", von den Banken abziehen. Der Reichtum landet also in den Taschen der "Banker", der Bankmanager, der Spekulanten, der Aufsichtsräte, der Bankeigentümer.
Das Bleibende
Unsere Regierung - und die Regierungen anderer Hypersysteme Staat - mehrt in erster Linie nicht das Wohl der Bürger, sondern das der Banken. Und dagegen sind wir Individuen machtlos. Den Kampf der Hypersysteme haben die Staaten längst gegen die international tätigen Banken, die Suprasysteme, verloren. Und wir kleine Bürger, ob hierzulande oder in Griechenland, sind und bleiben die modernen Sklaven der Banken. Das ist die traurige Konstante, die ich im Gebaren der Hypersysteme entdecke.
Angesichts dieser trüben Aussichten habe ich vollstes Verständnis für die Lebensart der griechischen Männer, widme mich lieber der Musik und der Philosophie und würde mit Ihnen, liebe Freundin, gern öfter mal einen Kaffee in einem unserer beliebten Straßencafes genießen.
Rudi Zimmerman, Gesellschaftsanalytiker
Berlin, den 13. Juli 2015
Nachtrag: heute früh schrieb ich: “Es wird natürlich so ausgehen, dass weiterhin Gelder in Richtung Griechenland fließen.” Schon als ich eben von meiner Arbeit nach Hause zurückkehrte, hatte sich dieser Satz bewahrheitet. Die Parlamente müssen noch zustimmen - eine Formalität. Meine hellseherischen Fähigkeiten sind anscheinend besser als ich dachte. Sie beruhen allerdings nicht auf übersinnlichen Kräften, sondern auf der Analyse der Verhaltensgrundsätze des Menschen und der menschlichen Gesellschaften. |