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Gottesbeweise Eine Stellungnahme von Rudi Zimmerman
Zusammenfassung: Sogenannte "Gottesbeweise" der westeuropäischen Kultur sind keine Beweise im wissenschaftlichen Sinn, sondern Definitionen von Gott. Dieser wird als das Höchste Denkbare, als das Vollkommenste oder als Erster Verursacher usw. definiert. Wesentlich daran ist, dass "Gott" nicht als lebendes System, sondern als Sache oder als Eigenschaft definiert wird. Herausragend ist allerdings die Beschreibung Gottes durch Thomas von Aquin, der "Gott" als causa finalis darstellt, indem er als Handlungsziel des Gläubigen eine Vereinigung mit Gott angibt, die einen Zustand ständigen Glücks herstellt, der keine darüber hinaus gehenden Befriedigungen benötigt. Diesen Zustand nennt er "Glückruhe".
Liebe Freundin, lieber Leser,
in der Abendländischen Kultur hat sich die Philosophie auch mit sogenannten Gottesbeweisen beschäftigt. Hier sind insbesondere Anselm von Canterbury und Thomas von Aquin zu nennen.
Schaut man sich diese sogenannten Gottesbeweise näher an, so fällt dem kritischen Betrachter auf, dass es sich hierbei nicht um Beweise im modernen wissenschaftlichen Sinn handelt, sondern um Definitionen. Die Autoren, die seltsamer Weise auch von der offiziellen katholischen Kirche anerkannt sind, definieren den Terminus Gott – und das in einem Sinn, der Gott nicht als Person, sondern als Sache definiert.
Gott als Eigenschaft
Sie wissen, lieber Leser, dass ich eine Philosophie lebender Systeme vertrete, die ich auch gern als Wissenschaft lebender Systeme bezeichne, da sie die Erkenntnisse der Wissenschaft als Tatsachen zugrunde legt. Wenn Anselm nun Gott als das beweist, das am größten ist, so dass nichts größeres existieren kann und dass auch nichts Größeres vorstellbar ist, so steht der Terminus „Gott“ hier nicht für ein lebendes System, sondern für ein nichtlebendes System, also für eine Sache bzw. die Eigenschaft einer Sache, nämlich die Eigenschaft, die größte zu sein. Das widerspricht jedem natürlichen Glauben an Gott, das gläubige Menschen haben. Die sogenannten Gläubigen stellen sich Gott stets als lebendes System vor. Und das mit Recht. Denn in der Bibel steht, dass Gott den Menschen nach seinem Bilde geschaffen hat. Das wird von den Gläubigen selbstverständlich im Allgemeinen so verstanden, dass das Aussehen des Menschen dem Aussehen Gottes ähnelt. Womöglich ist es jedoch anders gemeint. Nämlich so, dass sich das größte nichtlebende System eine Vorstellung davon gemacht hat, wie ein lebendes System auszusehen und zu funktionieren hat und nach dieser seiner Vorstellung dann den Menschen geschaffen hat.
Dem widerspricht nun aber die wissenschaftliche Erkenntnis, dass sich der Mensch aus anderen Vorstufen lebender Systeme entwickelt hat und nicht plötzlich so vorhanden war, wie er heute ist. Wissenschaftlicher Konsens ist, dass zunächst Energie vorhanden war, die sich zu Masse und Materie, zu Atomen, Molekülen usw. entwickelt hat und daraus erste Einzeller entstanden sind, die sich im Lauf der Evolution zum Menschen entwickelt haben.
Inzwischen bildet der Mensch ein eigens biologisches Reich, dass sich vom Tierreich abgrenzen lässt. Das ist eine neue Erkenntnis der Philosophie lebender Systeme. Das Menschenreich unterscheidet sich vom Tierreich dadurch, dass es seine Informationen, seine Daten, seine gewonnenen Erkenntnisse nicht mehr nur verbal kommunizieren kann und verbal interagiert, sondern diese Erkenntnisse hirnextern bzw. körperextern in Büchern und auf verschiedenen elektronischen oder digitalen Datenträgern speichern kann, was die Evolution durch genetische Vererbung überflüssig macht. Das nur nebenbei, liebe Freundin.
Zurück zu den Gottesbeweisen.
Auch die Gottesbeweise von Thomas von Aquin sind keine Beweise Gottes im wissenschaftlichen Sinn, sondern ebenfalls und allenfalls Definitionen Gottes.
„Gott“ als erster unbewegter Beweger ist eine Definition Gottes. Und auch hier zeigt sich, dass Gott in dieser Definition nicht der Definition eines Lebenden Systems entspricht, sondern dass hier eine Eigenschaft benannt wird, die “Gott” zugeordnet wird. Ein Lebendes System hat Fähigkeiten, ein Nichtlebendes System hat Eigenschaften. Die Kompetenz, aus dem Nichts heraus etwas zu bewegen, würde ich zwar als Fähigkeit bezeichnen, lieber Leser, aber ob Fähigkeit oder Eigenschaft, es fragt sich, was Gott hier am Anfang in Bewegung versetzt haben soll. Bewegung setzt ja voraus, dass da bereits etwas existiert, das bis dahin nicht in Bewegung war. Am Anfang müsste also Gott etwas außer ihm befindliches existiert haben, dass er dann in Bewegung versetzte. Wie auch immer. “Gott” wird hier lediglich als Fähigkeit definiert, nicht als Person. Und genau das ist für die Philosophie lebender Systeme äußerst interessant, weil es der Vorstellung widerspricht, die der naive Gläubige hat, der sich Gott als Person, also als Lebendes System, denkt.
Gott als Ziel und Zustand
Neben anderen sogenannten Gottesbeweisen bietet Thomas von Aquin in seiner "Summe der Theologie" (1) noch eine weitere äußerst interessante Gottesdefinition.
Er spricht nämlich synonym von „Glückgeborgenheit“ und „Glückruhe“ des Menschen und beschreibt diese Begriffe auch selbst. Glückruhe ist ein Zustand, in dem das menschliche Individuum sich befindet, wenn alle seine Wünsche, Bedürfnisse und Triebe befriedigt sind und es keine weiteren Bedürfnisse mehr gibt, die nach Befriedigung verlangen.
"Die Glückgeborgenheit ist nämlich das vollkommene Gut, das die Begehr vollständig in Ruhe versetzt: anders wäre sie ja nicht Endzweck, wenn noch etwas zu begehren übrig stände. … In Gott allein also besteht die Glückgeborgenheit des Menschen." (1, Seite 20)
Das wäre übrigens ein Zustand von immerwährendem Glücksgefühl, das auch in anderen Weltanschauungen (z.B. im Buddhismus) als Ziel beschrieben und lediglich anders bezeichnet wird ("Nirwana").
Allerdings - und das muss betont werden -, tritt dieser Zustand der Glückruhe nach Thomas nicht in meditativer Versenkung oder in einem tranceartigem Zustand des “Schauens” ein, sondern besonders bei vollem Bewusstsein. Die Vereinigung mit Gott sollte mit dem Verstand erfasst werden:
“Wer diese Wesenheit Gottes mit dem Verstand erfasst, ist der Glückseligkeit näher, als der, der Gott erschaut, ....” (1, Seite 31)
Thomas definiert hier Gott nicht als Eigenschaft oder Fähigkeit, sondern als Zustand. "Gott" wird zu einem Zustand, in dem sich das menschliche Individuum befindet, wenn es ihn (Gott) gefunden und sich mit ihm mit Hilfe des Verstandes vereinigt hat.
„Gott“ ist nicht mehr Erschaffer des Universums, sondern das Ziel menschlichen Strebens als Gläubiger. Während "Gott" in den üblichen Definitionen als causa effiziens (Wirkursache) definiert wird, beschreibt Thomas ihn hier als causa finalis (Zweckursache) menschlichen Lebens.
Das ist das Besondere dieses "Gottesbeweises”.
Aber auch dies wäre ein „Gottesbeweis“, der den Vorschriften der Kirchenführer widerspricht, die Gott ihren Gläubigen ja als Schöpfer und Lenker menschlichen Handelns verkaufen und sich anmaßen zu wissen, was Gott von seinen Gläubigen will, was sie zu tun und zu lassen hätten. Tatsächlich maßen sich diese männlichen Erfinder von Bibeln und göttlichen Geboten und Verboten an, etwas von Gott durch Offenbarung zu wissen, was sie sich in Wirklichkeit ausgedacht haben, um den weiblichen Teil der Menschheit zu bevormunden und zu unterdrücken.
Und leider, lieber Freund und liebe Leserin, werden die Fortschritte westeuropäischen Denkens heutzutage wieder rückgängig gemacht, indem zum Beispiel die Religionsfreiheit nicht als individuelles Gut verstanden wird, sondern als Freiheit von Religionsführern, Menschen zu bevormunden und Frauen zu entrechten. Dem Wahlspruch der Aufklärung, dass das Individuum frei von Anleitung selbständig denken solle (2), wird der Mensch durch die heutige Politik der westeurupäischen Staaten immer weiter entfernt.
Das soll uns jedoch nicht davon abhalten, das Leben zu genießen.
Rudi Zimmerman Philosoph lebender Systeme, Berlin im Februar 2019
Literatur: 1. Thomas von Aquin: Summe der Theologie II, Die sittliche Weltordnung. Stuttgart. Kröner. 1985. ISBN 3-520-10603-5.
2. "Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. ... Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen." Immanuel Kant, 1783 |